Während wir in Deutschland noch darüber streiten, ob Inklusion zu teuer, zu kompliziert, zu utopisch sei, servieren in Tokyo Roboter Kaffee. Gesteuert von Menschen mit Behinderungen. Von zu Hause aus. Und plötzlich erscheinen all unsere Debatten über Barrierefreiheit wie aus der Zeit gefallen.
Das DAWN Café in Tokyo ist ein Ort, an dem Roboter-Avatare die Gäste bedienen – ferngesteuert von Menschen mit Behinderungen.
Als ich dort war, bediente uns Rion – oder besser gesagt: ihr Avatar. Sie selbst saß 300 Kilometer entfernt in ihrer Wohnung. Wir plauderten über Musik, über das Wetter in ihrer Stadt, über ihre Lieblingsgäste. Die Distanz zwischen uns war technisch, aber nicht menschlich. Im Gegenteil: Selten habe ich mich so unmittelbar mit jemandem verbunden gefühlt.
„Ohne den Avatar“, sagte sie beim Abschied, „könnte ich nicht arbeiten. Nicht Teil von etwas sein. Nicht mit Menschen sprechen.“ Sie lächelte durch ihren Avatar. „Hier bin ich einfach Rion, die Kellnerin. Nicht Rion, die Behinderte. Das bedeutet mir alles.“ Dann fügte sie noch etwas hinzu, das mich besonders nachdenklich gemacht hat: „Wissen Sie, jeden Morgen, wenn ich mich einlogge, fühle ich mich wie alle anderen auch. Ich ziehe mich an, mache mich fertig für die Arbeit – nur dass mein Arbeitsweg durch ein Kabel führt. Für mich ist das ein Geschenk. Eine Chance auf Normalität, von der ich nie zu träumen gewagt hätte.“
Wir sprechen von Diversity, von Teilhabe, von Chancengleichheit. Aber meist bleiben das Sonntagsreden. Lippenbekenntnisse einer Gesellschaft, die sich gerne progressiv gibt, aber vor echten Veränderungen zurückschreckt. In Tokyo lernen wir: Inklusion braucht keine Ausreden. Sie braucht Fantasie. Mut. Und ja, Technologie. Nicht als Ersatz für menschliche Nähe, sondern als Brücke zu ihr.
Die wahren Barrieren liegen nicht in fehlenden Rampen oder Aufzügen. Sie liegen in unseren Köpfen. In unserer Unfähigkeit, Arbeit neu zu denken. Teilhabe neu zu denken. Menschsein neu zu denken. Das nächste Mal, wenn jemand sagt, Inklusion sei zu kompliziert, erzähle ich von diesem Café in Tokyo. Von Robotern, die mehr über Menschlichkeit lehren als manche Inklusionsdebatte. Von einer Zukunft, die längst begonnen hat – nur nicht bei uns.
Es wird Zeit, dass wir aufhören, Inklusion zu diskutieren. Und anfangen, sie zu leben.