Betreten Sie eine beliebige U-Bahn-Station in Tokio. Oder gehen Sie an einer Baustelle in Japan vorbei. Sie werden etwas bemerken, das uns im Westen fremd geworden ist.
Da stehen Menschen in leuchtenden Westen, die Sie höflich und sicher um die Baustelle herumführen. An den U-Bahn-Stationen finden Sie Stationspersonal.
Echte Menschen. Sie helfen bei der Wegfindung, unterstützen ältere Menschen, nehmen sich Zeit für Verwirrte.
Wie mich beispielsweise.
Sie sind nicht dort, weil ein paar Absperrgitter, automatische Türen oder Touchscreen-Infoschalter es nicht auch tun würden. Sie sind dort, weil menschliche Verbindung zählt. Weil Sicherheit und Orientierung ein Gesicht brauchen.
Ein Lächeln.
Eine helfende Hand.
Westliche Wirtschaftsschulen würden das als ineffizient bezeichnen. Übertrieben.
Unnötig.
Ist es das wirklich? Oder haben wir verlernt, den wahren Wert menschlicher Interaktion zu bemessen?
In Japan ist Service kein Mittel zum Zweck. Es geht um etwas Tieferes – eine Kultur, die in der japanischen Teezeremonie ihre Wurzeln hat:
Jede Geste zählt.
Der Gastgeber ist präsent.
Dienend.
So wie der Stationsvorsteher, der sich vor dem abfahrenden Zug verbeugt.
Ich habe es gerade wieder bei meinem letzten Besuch in Tokio erleben dürfen: Eine Cafébesitzerin brachte mir meinen Kaffee mit beiden Händen, verbeugte sich leicht – und bedankte sich für meinen Besuch.
Kein berateroptimierter Service, keine KPI-getriebene Strategie – nur echte Aufmerksamkeit.
Und genau das bleibt im Gedächtnis.
Während wir überall Touchscreens installieren, macht Japan aus jedem Serviceakt eine Teezeremonie. Selbst dort, wo es „ineffizient“ erscheint.
Nicht dass japanische Unternehmen sich nicht um Gewinne kümmern. Das tun sie durchaus. Aber sie haben etwas Wesentliches erkannt:
Echte Begegnungen schaffen Vertrauen.
Vertrauen schafft Loyalität.
Und Loyalität bringt Unternehmen hervor, die Generationen überdauern, nicht nur Quartale.
ChatGPT ersetzt Kundenservice-Jobs. Automatisierung wird als ultimative Lösung gepriesen. Doch Japans beharrliches Festhalten am menschlichen Service erinnert uns an etwas Wichtiges: Manchmal liegt der größte Gewinn darin, nicht jeden Moment in Geld aufzuwiegen.
Statt uns zu wundern, warum Japan am persönlichen Service festhält, sollten wir uns lieber fragen, was wir durch unsere Effizienzoptimierung bereits verloren haben.
Das Paradox ist nicht Japan.
Das Paradox sind wir!
Wir glauben, dass Effizienz mehr wert ist als Menschlichkeit.
Japan erinnert uns daran, dass es genau umgekehrt sein könnte.