Die zwei Seelen der Vier-Tage-Woche


Als ich kürzlich mit einem Freund in einem Café in Tokio saß, kam das Gespräch auf die deutsche Vier-Tage-Woche.

Er fragte mich nach meiner Meinung.
Ich begann zu philosophieren: Viele Deutsche wünschen sie sich. Noch mehr träumen davon: mehr Zeit für sich selbst, Selbstverwirklichung, persönliches Glück. „Typisch deutsch“, meinte ich schmunzelnd zu ihm.
Er war begeistert.

In Tokio hingegen scheint die Vier-Tage-Woche eine nationale Notwendigkeit zu werden. Die Zahlen sind erschreckend. 2024 wurden hier weniger Kinder geboren als Frankfurt Einwohner hat. Ich spürte die Sorge in den Gesprächen mit ihm.

Die Stadtverwaltung von Tokio hat darauf reagiert. Vier-Tage-Woche angewiesen, mehr Zeit für Zweisamkeit, Dating-Apps, Familienförderung. Ein Arsenal gegen das demografische Ausbluten.

Zwei Welten, zwei Wege.

In Deutschland dreht sich alles um das „Ich“. Wir diskutieren über Work-Life-Balance. Wie andere über Religion. Die Vier-Tage-Woche wird zum persönlichen Erlösungsversprechen.

In Japan geht es um das „Wir“.

Als ich dann später noch mit meinem japanischen Bruder sprach, einem ehemaligen Beamten, sagte er einen Satz, der hängen blieb: „Wir müssen unsere Gesellschaft retten, bevor wir über individuelles Glück nachdenken können.“

Was ich hier sehe, ist mehr als ein Arbeitszeitmodell.
Es ist ein Spiegel zweier Gesellschaften.
Und vielleicht liegt genau darin eine Chance: Können wir nicht von beiden lernen? Den westlichen Drang nach Selbstverwirklichung mit der japanischen gesellschaftlichen Verantwortung verbinden?

Am Ende geht es nicht um vier oder fünf Tage.
Es geht um die Werte, die wir leben – und die Gesellschaft, die wir werden wollen.

Ideen für
eine bessere
Zukunft

Michael Okada

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